Schafft Gendern eine gerechtere Welt? – Tausende von Sprachen besitzen kein Genussystem; emanzipierter sind die Frauen deswegen noch lange nicht

An der Wurzel der Geschlechtersprache steht die Überzeugung, dass Sprache an sich Wirklichkeit schaffe. Wie fragwürdig dieses Axiom ist, zeigt sich daran, dass Sprachräume ohne Genus keineswegs weniger patriarchalisch sind als solche mit. Gendern erweist sich als Holzweg.

Ende 2023 wurde erstmals im deutschsprachigen Raum ein Gesetz im «generischen Femininum» verabschiedet. Auf Initiative der damaligen grünen Justizministerin Österreichs, Alma Zadic, finden sich im Flexible-Kapitalgesellschafts-Gesetz ausschliesslich feminine Personenbezeichnungen wie «Gesellschafterinnenversammlung» oder «Geschäftsführerinnen». Andere Geschlechter seien in diesen automatisch mitgemeint.

Ein künstlich geschaffenes «generisches Femininum» also, das die Welt gleich wie die Genderformen mit Doppelpunkt oder Asterisk inklusiver und femininer machen soll. Nur: Schafft ein demokratisch nicht legitimierter Sprachumbau tatsächlich eine gerechtere Welt – und ist diese weltanschaulich motivierte Operation am offenen Herzen der deutschen Sprache auch korrekt?

Sprache und Wirklichkeit

Der konstruktivistische und sprachrelativistische Ansatz, Sprache schaffe per se Wirklichkeit und ein Sprachumbau führe direkt in eine bessere Welt, will genauer unter die Lupe genommen werden. Dafür ist es unerlässlich, Begriffe zu klären und sprachwissenschaftliche Erkenntnisse mit einzubeziehen. Wissen soll ja nicht durch Ideologie ersetzt werden.

Zunächst ist festzuhalten: Sprache verändert sich stets natürlich und von den Sprachträgern nicht bemerkt. Gendersprache hat somit nichts mit natürlichem Sprachwandel zu tun. Sprache «gehört» allen, die sie sprechen, keine sich auf eine wie immer geartete Moral berufende Sprachelite besitzt ein Patent darauf und darf sie zurechtmodeln.

Die deutsche Sprache verfügt über zwei essenzielle Instrumente, um jenseits von Geschlechtern formulieren zu können.

Die seit rund 5000 Jahren bestehenden grammatischen Geschlechter (Genera) entstanden im indogermanischen Sprachraum nicht mit dem Ziel, biologische oder soziale Geschlechter abzubilden. Generische bzw. allgemeine Formen etablieren sich ausschliesslich in Sprachen, die Genera verwenden. Sie schaffen Oberbegriffe, die zwar ein grammatisches Geschlecht aufweisen, jedoch geschlechtsunabhängig funktionieren.

Damit vereinfachen sie die Sprache, indem sie keineswegs bloss Frauen, sondern alle biologischen und sozialen Geschlechter verhüllen und den Menschen als solchen adressieren. Gerade in einer Zeit, in der das Geschlecht nahezu kultisch überhöht und häufig mit Identität verwechselt wird, ist dies besonders nützlich.

Das sogenannte Maskulinum übernimmt in der deutschen Sprache die Hauptrolle bei generischen bzw. geschlechtsabstrahierenden Formulierungen. Somit hat es eine Doppelrolle inne: Es kann als generisches Maskulinum und als spezifizierendes Maskulinum auf der Sprachbühne erscheinen. Die Unterscheidung zwischen den beiden Bedeutungen erschliesst sich nicht durch die Form selbst, sondern allein durch den situativen Kontext – und erfordert entsprechendes Erfahrungswissen.

Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass die deutsche Sprache über zwei essenzielle Instrumente verfügt, um jenseits von Geschlechtern formulieren zu können.

Epikoina, generische Feminina und Maskulina

Die erste Gruppe ist diejenige der Epikoina. Ein Epikoinon ist ein Substantiv und eine Personenbezeichnung mit festem grammatischem Genus, aber neutraler Geschlechtszuordnung. Es kann bei ihm jedoch keine Ableitung bzw. Spezifizierung vorgenommen werden. Der Satz «Miles Davis war der Mensch, die Person und das Genie, das ich bewunderte» verwendet drei Epikoina in den drei grammatischen Geschlechtern.

In der Gruppe der Epikoina finden sich übrigens nicht wenige weibliche Formen, die geschlechtsabstrahierend verwendet werden: «die Autorität», «die Majestät», «die Koryphäe», «die Wache», «die Leiche», «die Arbeitskraft», «die Giraffe» usw.

Ich selbst bin als die Lehrkraft übrigens gerne «die Supplierung», «die Vertretung» und «die Aushilfe» für Kollegen, ohne mich dabei als weiblich gelesen zu fühlen.

Die zweite Gruppe sind die klassischen generischen Maskulina und Feminina, die im Unterschied zu den Epikoina die unmarkierte Ausgangsbasis für Ableitungen bilden.

Ein korrektes und natürlich entstandenes generisches Femininum, das als Grundlage für männliche Spezifizierungen dient, existiert in der deutschen Sprache durchaus – wenn auch äusserst selten: «die Katze – der Kater», «die Ente – der Enterich», «die Gans – der Gänserich».
Generische Maskulina wie «der Bürger – die Bürgerin» bzw. «die Bürger – die Bürgerinnen» sind hingegen weit verbreitet. Im Gegensatz zu Epikoina wie «der Mensch», «der Adler» oder «der Kapazunder» erlauben sie mithilfe des Morphems «-in» eine eindeutige Ableitung und geschlechtliche Spezifizierung im Sinne einer Femininbildung.

Die Ausgangsbasis ist also stets die unmarkierte, kurze und generische Form – die markierte Langform stellt die Spezifizierung dar! Die Behauptung, im Begriff «Lehrerin» sei der spezifiziert männliche Begriff «Lehrer» bereits enthalten, ist schlichtweg falsch. Das Morphem «-er» ist keineswegs ein «Männer-Suffix». Es handelt sich vielmehr um ein Wortbildungselement, das aus «bauen» den «Bauer», aus «wohnen» den «Einwohner» und aus «lehren» den «Lehrer» macht. «Lehrer» bedeutet zunächst bloss «eine Person, die lehrt»! Das rein spezifizierende Suffix «-in» liesse sich gar nicht an ein explizit männlich markiertes Wortbildungselement anschliessen – sonst würde das Wort «Lehrer-in» sinngemäss «eine männliche Lehrerin» bedeuten.

Das künstlich geschaffene «generische Femininum» ist somit eine fehlerhafte Konstruktion und mit seiner natürlichen Variante nicht vergleichbar.

Die Flucht in substantivierte Partizipien des Präsens, allein um der Endung «-er» zu entkommen, ist sprachlich meist ebenso überflüssig und führt ja bisweilen zu skurrilen Auswüchsen. Die Bläser und Streicher der Wiener Philharmoniker etwa sollten weiterhin nicht zu «Blasenden» und «Streichenden» umbenannt werden.

Die Jarawara zum Beispiel

Wagen wir nun den Blick auf den Globus und suchen nach den wenigen Sprachen, die vorwiegend ein natürlich entstandenes generisches Femininum verwenden. Und prüfen wir, ob sich in diesen Sprachräumen eine gendersensible und geschlechtergerechte Welt widerspiegelt!
Beginnen wir mit dem Volk der Jarawara und der Banawá im südwestlichen Amazonasgebiet Brasiliens. Beide Stämme sprechen Sprachen aus der Arawá-Sprachfamilie und verwenden dabei ein generisches Femininum. Nichtsdestoweniger sind ihre Gesellschaften patriarchalisch geprägt.

Bekannter ist wohl der Stamm der Irokesen, etwa die Mohawk, in den heutigen USA. Auch in ihrer Sprache existiert ein generisches Femininum. Die irokesische Kultur, nach innen konsensual organisiert, ist zudem matrilinear organisiert. Führte diese sprachliche und soziale Struktur zu einer friedlichen, inklusiven Gesellschaft? Keineswegs. Die irokesische Konföderation war nach aussen hin expansiv und stark militarisiert. Ihre Krieger genossen hohes Ansehen, insbesondere vonseiten der Frauen. In der Geschichtsschreibung gelten die Irokesen bis heute als eine der schlagkräftigsten und brutalsten Stammesgruppen Nordamerikas – speziell während der Biberkriege im 17. Jahrhundert, in deren Verlauf sie andere indigene Völker teilweise auslöschten und die Biberbestände massiv dezimierten.

Die Kriegerkultur der Zulus in Südafrika verwendet mindestens zehn Nominalklassen, die an unsere Genera erinnern. Unabhängig davon besitzen die Männer eine dominante Rolle im öffentlichen, rechtlichen und religiösen Leben.

Die in Teilen Südafrikas und Namibias gebräuchliche Sprache Korana gilt als besonders faszinierend. Sie ist wie das vorindogermanische Baskisch mit keiner anderen Sprache verwandt und die weltweit einzige dokumentierte Sprache, innerhalb welcher die grammatische Vertretung von Frau und Mann völlig symmetrisch und ausdrücklich ist. Korana gehört aber nicht zu einer gleichberechtigten Gesellschaft, sondern zu einer, die durch und durch patriarchalisch ist.

Je nach Definition verfügen zwischen 50 und 70 Prozent der weltweit rund 7000 Sprachen, die sich in etwa 150 Sprachfamilien aufteilen, über kein Genussystem. Diese Sprachräume sind zwar frei von Genderdebatten, doch eine tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit ist damit keineswegs garantiert. Genusfreie Sprachen wie Türkisch, Ungarisch, Mandarin, Japanisch, Koreanisch, Bengalisch oder Persisch zeigen deutlich, dass grammatische Geschlechtsneutralität nicht automatisch zu sozialer Gleichstellung der Geschlechter führt.

Auf der anderen Seite besitzt die nordgermanische Sprache Isländisch, die sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert hat, drei Genera, so wie das Deutsche oder das Jiddische. Wie im Althochdeutschen werden sie sogar im Plural markiert. Zudem werden isländische Familiennamen vom Vornamen des Vaters abgeleitet.

Man könnte also meinen, Island sei ein Inselparadies für Patriarchen. Das Gegenteil jedoch ist der Fall: Island führt seit sechzehn Jahren ununterbrochen den weltweiten Global-Gender-Gap-Index an – vor 148 weiteren Ländern. Deutschland liegt derzeit an der neunten Stelle. Auch im EU-internen Gender-Equality-Index dominieren Länder der germanischen Sprachfamilie: Schweden, die Niederlande und Dänemark belegen die Spitzenplätze, obwohl gerade die Niederlande seit einiger Zeit das generische Maskulinum als Mittel für gendergerechte Sprache wiederentdecken und die moralisch aufgeladene Debatte im deutschen Sprachraum dort kaum nachvollziehbar ist.

Letztlich zeigt sich anhand der Beispiele, dass kein Zusammenhang zwischen der Rolle der Frau in ihrer Gesellschaft und der Grammatik ihrer Sprache besteht, auch wenn dies Genderideologen immer wieder betonen.

Wider die Gesinnungsgrammatik

Der Umbau der deutschen Sprache durch eine kleine, demokratisch nicht legitimierte Gruppe, die ihr moralisch vermeintlich höherwertiges Weltbild durchgehend und auf irrtümlichen Annahmen basierend in der Grammatik abgebildet sehen möchte, führt keineswegs in eine gerechtere Welt.

Der deutschen Sprache zu unterstellen, sie sei reparaturbedürftig, und zu sagen, man wisse exakt, wie sie zu reparieren sei, spiegelt den Hochmut jener wider, die für alle verbindlich ihre Gesinnungsgrammatik installiert wissen wollen. Die Dauersichtbarkeit einst oder gegenwärtig diskriminierter Gruppen wird dabei als zentrales Argument in den Sprachraum geworfen.

Nur, werden Menschen nicht auch aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Sozialstatus diskriminiert? Müssten diese Merkmale konsequenterweise nicht ebenso dauerhaft sprachlich markiert werden?

Die Sprache hat hier im Grunde zwei Möglichkeiten: Sie kann Merkmale kollektiv und permanent sichtbar machen – und zwar mit der komplexen, in ihrer Umsetzung sehr aufwendigen merkmalinklusiven Form («die Einwohner*innen») –, oder sie nutzt die praktikablere, merkmalabstrahierende Variante («die Einwohner»), die Merkmale nur dann individualisiert benennt, wenn dies notwendig erscheint.

Für die geschlechtsabstrahierende Variante, die Geschlechter nicht unnötig betont und keinen umgekehrten Sexismus fördert, sind die generischen Formen ein hervorragendes Instrument.

Es ist an der Zeit, die ehemals frei mäandernde Weltkultursprache Deutsch zu renaturieren und die Dämme ideologischer Verengungen abzubauen. Die Verdammung des sogenannten generischen Maskulinums war ein folgenschwerer Fehler. Gelingt die Renaturierung nicht, werden wir wohl Sprachschutzgebiete und Sprachreservate der Diversität benötigen, denn Gendersprache gaukelt Diversität bloss vor.

Die deutsche Sprache darf nicht einer selbsternannten Kaste von Sprachbrahmanen überlassen werden. Gendern erweist sich als Holzweg, angesagt ist Umkehr. Vielmehr sollte der isländische oder der niederländische Königsweg beschritten werden, der reale Fortschritte bei der Geschlechtergerechtigkeit verheisst, ohne dass man in die Struktur einer der faszinierendsten Sprachen der Welt eingreifen müsste.